Camillo:
Herr, ich muss dir was erzählen. Ich war neulich in deinem Heiligen Land. Am See Genezareth.
Ich wollte mit dem Boot über den See fahren. Der Mann verlangte 50 Schekel. 50 Schekel. Was sagst du dazu, Herr?
Jesus:
Camillo, das ist nicht irgendein See. Ich bin damals über ihn geschritten.
Camillo:
Na, kein Wunder, bei den Preisen.
Herr, ich muss mit dir reden. Du hast gesagt, wir sollten Salz der Erde sein.
Das ist ja gut und schön; aber manchmal bekomme ich das Gefühl nicht los, dass man die Erde versalzen will.
Ich finde, dass das Gute durch Übertreibung auch nicht besser wird.
Jesus:
Camillo, kann es nicht sein, dass du jetzt übertreibst?
Camillo:
Übertreibst? Herr, gestern sagte eine fromme Dame zu mir – du kennst sie, die mit dem überaus traurigen Gesicht –
wie empörend sie meine Predigt empfunden habe. Ich müsse mehr gegen die Pornofilme auftreten,
die Unmoral der Leute geißeln, den Verfall anprangern und dass ich die Homöopathie für vertretbar halte, wäre ungeheuerlich!
Das wäre Teufelszeug. Erlöste Christen bräuchten das nicht, sagt sie.
Und sie wirkte dabei überhaupt nicht erlöst, eher aufgelöst.
Jesus:
Camillo. Beurteile die Fehler deiner Mitmenschen nicht nach dem Grad der Entrüstung,
den sie bei dir hervorrufen, sondern nach dem Schmerz, den sie mir antun.
Camillo:
Verzeih, Herr, ich vergaß das. Aber es ärgert mich, wenn ich sehen, wie die Superfrommen allüberall den Teufel wittern.
Dies Dämo-kratie hasse ich.
Und außerdem versalzen sie einem die Suppe. Ich muss sie dann für die anderen auslöffeln.
Jesus:
Armer Camillo. Gib den Menschen deine Liebe und warte nicht, bis die anderen damit anfangen.
Camillo:
Herr, du verlangst manchmal viel.
Jesus:
Ja, wen ich liebe, von dem verlange ich viel.
Camillo:
Wenn das so ist, Herr, kannst du mich nicht ein bisschen weniger lieben?
Jesus:
Camillo.
Camillo:
Verzeih, Herr. Ich kann verstehen, dass du so wenig Freunde hast.
Jesus:
Wenn du den Applaus der Welt suchst, Camillo, hast du meine Botschaft falsch verstanden.
Und wenn alle hinter dir stünden, musst du dich fragen, was du falsch gemacht hast.
Meine Botschaft ist Salz der Erde. Das muss nicht schmecken, sondern frisch halten.
Camillo:
Herr, ich reiße mir fast die Zunge aus, um meine Schäfchen bei der Stange zu halten.
Jesus:
Dann hast du mich missverstanden, Camillo. Du musst den Glauben nicht machen, sondern bezeugen.
Du musst nichts Großartiges tun, sondern das Kleine artig.
Camillo:
Das ist schwer genug, Herr. Ich dachte immer, ein Pfarrer sollte Vorbild sein.
Jesus:
Der Pfarrer ist vor allem Eckstein, kein Reklameschild.
Camillo:
Herr, ich werde aber dauernd missverstanden.
Jesus:
Camillo, ich werde seit 2000 Jahren missverstanden.
Camillo:
Da gibt es aber einen kleinen Unterschied, wenn ich mir erlauben darf.
Bei dir sind 1000 Jahre gerade mal ein Tag. Bei mir ist das umgekehrt.
Jesus:
Armer Camillo. Warum nimmst du dich so wichtig? Wenn du die Menschen verändern willst, dann schimpf nicht so viel.
Sage ihnen, wie gut sie sind, und sie hören auf schlecht zu sein. Mache es nur lange genug.
Camillo:
Ich dachte immer, das würde sie in ihrer Unmoral bestärken.
Jesus:
Siehst du Camillo, jetzt denkst du genauso wie die superfromme Dame, über die du eben noch geschimpft hast.
Camillo:
Ich sehe ein, dass es nicht leicht ist, salzig zu sein, Herr.
Jesus:
Camillo, wenn sich deine Brüder und Schwestern wie Ochsen benehmen, spiel nicht den Engel.
Du könntest selbst in ihre Lage kommen.
Camillo:
Verzeih, du hast recht. Ich brauche mehr Demut.
Jesus:
Bravo, Camillo, jetzt verstehst du mich.
Camillo:
Ich werde mich von jetzt an ganz klein mache, Herr, klitzeklein.
Jesus:
Nicht doch, Camillo. Mach dich nicht zu klein, sonst könnten die anderen meinen, du wärest sehr groß.
Camillo:
Herr, du verstehst es immer wieder, mich für dich zu begeistern.
Jesus:
Siehst du Camillo, das ist es, was ich mit Salz der Erde meine:
Andere für mich zu begeistern.
Camillo:
Manchmal schmecken deine Worte wie Kommissbrot, Herr.
Jesus:
Deshalb halten sie auch ewig, Camillo.
Camillo:
Wie Salz, nicht wahr, Herr?
Jesus:
Du sagst es, mein Freund.
Camillo:
Danke, Herr. Ich werde darüber nachdenken.